
Zugfahren in Japan – so schnell wo hin du willst
In Tokyo kann man wohl Wochen verbringen, nach fünf Tagen rangen wir uns dennoch zur Weiterreise durch. Als Ausländer konnten wir ein Ticket kaufen, mit dem wir nun für zwei Wochen alle Züge, inklusive Shinkansen nutzen können. Vor der ersten Fahrt stelle sich nur noch die Frage, wohin? Die Infrastruktur ist so gut ausgebaut, dass wir in wenigen Stunden von Tokyo fast überall hin gekommen wären und die Züge fahren so oft, das man sich auch ganz spontan entscheiden kann. So machten wir uns auf den Weg nach Süden.
Das Wichtigste vor einer Zugfahrt, Proviant besorgen, aus der riesigen Auswahl am Bahnhof. Bei Japanern scheinen die liebevoll angerichteten Bento mit bunten Kleinigkeiten am beliebtesten, in manchen Läden gibt es sie sogar in hübschen Holzschachteln, verpackt wie Geschenke. Eine Zugfahrt will schließlich angemessen zelebriert werden. Wir entdeckten einen Stand, an dem es riesige, frische Onigiri gab und nahmen uns davon welche mit. Außerdem teilten wir uns einen Salat mit Natto und Eiweiß als Dressing, weil das wohl nicht schon schleimig genug war, gab es noch etwas Okrah als Topping. Eine wirklich glibberige Angelegenheit, dennoch überraschend lecker.
Am Automaten besorgten wir uns noch kalten Kaffee. Die japanischen Getränkeautomaten sind eine Welt für sich. Zum einen stehen sie an wirklich jeder Straßenecke, zum anderen gibt es darin wirklich alles. Kalte Getränke und weiter oben heiße Getränke in Blechflaschen, die die ganze Zeit über heiß gehalten werden. Automaten mit Alkohol sind nur bis 10 Uhr Abends in Betrieb und seltener. Am größten ist die Auswahl an grünen Tees.
Neben den Getränkeautomaten haben viele, vor Allem die kleineren Bahnhöfe noch etwas anderes zu bieten. Automaten mit warmen Essen. Wir beobachteten eine Familie, wie sie Pommes aus einem Automaten zogen, wunderten uns und sahen uns die Sache näher an. Wir probierten die heißen, fettigen Takkoyaki. Sie kamen in einem verschlossenen Karton raus. Mikrowellenessen, aber ok wenn gerade keine leckeren Bento verfügbar sind.
Nun auf zum Zug. Shinkansen geht meistens nur mit Reservierung, manche Züge haben einzelne Wagen in die man ohne einsteigen darf. Also reservierten wir noch schnell. Mit unserem Touriticket kommen wir nicht durch die Drehkreuze und müssen einen besetzten Schalter suchen, wo man uns durch lässt. Auf dem Gleis suchten wir den richtigen Wagen, der kommt immer an der gleichen Stelle an. Denn in Japan gilt, ein Gleis, eine Zuglinie. Eine Linie am Boden zeigt an, wo sich die Tür öffnen wird, dahinter stellen sich alle in einer sauberen Reihe auf.
Tokyo war Endstation, so wurden erst alle Sitze des ankommenden Zuges in Fahrtrichtung gedreht, bevor wir einsteigen konnten. Abfahrt war natürlich trotzdem pünktlich, auf die Sekunde. An fast jedem Wagen stand ein Schaffner, der ein komplizierte Choreografie aufführte. Mit einem roten Fähnchen schlug er an den Zug, um zu zeigen, dass der Wagen bereit ist und schwenkte die Fahne dann in die Kamera, dann wurde gepfiffen und dem Zug auf dem Gleis hinterher gezeigt. Ähnliches passiert auch in der U-Bahn, nur dass es dort nur eine Person pro Bahn gibt. Shinkansen sind ja auch wahnsinnig lang.
Ganz so ordentlich geht es aber nicht überall zu. In Ibusuki wollte ein Kontrolleur im bunten Hawaihemd unsere Fahrkarten sehen, später entdeckten wir ein Plakat mit Werbung für das Hawaifestival in der Stadt. Festivals haben also Vorrang von Uniformen.
Geordnet ging es ins wahnsinnig geräumige innere des Zuges. Beinfreiheit, wo man sich ausstrecken konnte, ohne auch nur in die Nähe eines anderen Sitz zu kommen. Weich gepolsterte, maximal verstellbare Sitze, ein breiter Gang. Auf der einen Seite gab es drei Plätze, auf der anderen zwei. Und das war nur die zweite Klasse. Der Zug beschleunigte so schnell, dass wir nach wenigen Sekunden die dicht an den Schienen gelegenen Häuser nicht mehr erkennen konnten. Ab und zu lief ein Schaffner durch den Wagon, verbeugte sich beim Betreten, drehte sich beim Verlassen um und verbeugte sich noch mal.
Unterwegs kamen wir hauptsächlich durch Industriegebiete, fuhren aber auch ab und zu am Meer entlang und sahen in der Ferne die japanischen Alpen. Bald wurden die Bentos ausgepackt und unsere Onigiris, dann machten die meisten Fahrgäste ein Nickerchen.
In Kyoto mussten wir in einen Bummelzug umsteigen. In der hügeligen Landschaft fuhren wir durch Bambuswälder, durch Dörfer mit alten Bahnhöfen und traditionellen Häusern und vorbei an einzelnen Bauernhöfen mit Reisfeldern. Einige Häuser hatten auch kleine Reisfelder als Vorgarten. So ländlich es hier auch ist, gibt es doch keinen Fleck, von dem aus man nicht mehrere Häuser sehen kann.
Als wir Nara ein paar Tage später wieder verließen, erfuhren wir dass die Bummelzüge nicht ganz so zuverlässig sind wie die Shinkansen. Scheinbar hatte es einen Unfall gegeben und so kam es dazu, dass ein falscher Zug an unserem Gleis stand und unser Zug gar nicht fuhr. Das mit dem falschen Gleis geht aber nur auf dem Land. Die Option “verspätet” gibt es nicht, der Zug fährt pünktlich oder gar nicht. So mussten wir eine kurzweilige Stunde warten und lernten im nächsten Zug Misuka kennen. Die ältere Frau schien einfach nur Zug zu fahren, zwischen Nara und Osaka, um die paar Ausländer unter den Tagestouristen aufzustöbern. Sie hatte ein Fotoalbum mit Leuten, die sie schon getroffen hatte und zeigte uns Fotos von ihrem Haus und ihrer Familie. Sie fragte, wo wir herkommen und hin wollten und ob wir ihr ein kleines Bild in ihr Büchlein zeichnen könnten, was typisch deutsches. Wir malten ihr ein Schloss und einen Bierkrug. Dann fing sie an winzige, immer kleiner werdende Kraniche aus buntem Origami Papier zu falten und schenkte sie uns. Später stiegen ein paar ältere Leute ein, setzten sich gegenüber und fragten sie über uns aus.
In Osaka waren wir spät dran um einen Platz für den Shinkansen nach Hakata zu reservieren und bekamen keine Plätze mehr nebeneinander. Ich saß neben einem Mann, der sich ein Bier aufmachte, das Boardinternet einrichtete, einen riesigen Stapel Bücher auspackte sowie Stift und Notizbuch und dann ohne irgendetwas davon zu benutzen, oder an dem Bier auch nur zu nippen, umgehen für den Rest der Fahrt einschlief.
Im Süden des Landes, auf Kyushu gibt es weniger Shinkansen und man ist etwas länger unterwegs. Die Züge sind aber genauso komfortabel. Von Hakata nach Nagasaki bekamen wir keine Sitzplatzreservierung, hier war es toll, dass sich die Wagenreihung nie ändert und uns jeder genau sagen konnte, wo wir für den nicht reservierten Wagen stehen mussten, um noch einen Platz zu ergattern. Jeder Sitz hatte ein kleines Täschchen für Fahrkarten, die hier zum ersten mal kontrolliert wurden.
Je ländlicher es wurde, um so langsamen waren wir natürlich unterwegs. Ganz im Süden fuhren eher U-Bahn ähnliche Züge, die an jeder Haltestelle halten. Hier konnten wir oft in der Rush Hour einen weiteren Zweck des obligatorischen Handtuchs beobachten. Eine Seite wird über die Haltestange gelegt, die Hand kommt oben drauf. Kleiner Leute hatten aber manchmal auch private Schlaufen zum einhängen dabei. Im Süden ist das Handtuch aber auch wegen der zunehmenden Sommerschwüle unerlässlich, außerdem weiß man nie, wo man unerwartet einen schönen Onsen findet, wie zum Beispiel im Bahnhof von Ibusuki.