
Yakushima – Prinzessin Mononoke
Am südlichsten Zipfel von Kyushu geht es auch mit dem Auto nicht weiter. Wir buchten eine Fähre am frühen Morgen nach Yakushima. In dieser abgelegenen Gegend kommt man nur noch langsam voran, darum verbrachten wir die Nacht zuvor direkt in Ibusuki, in einer Jugendherberge, betreut von einem super bekifften Herbergsvater, der anbot, uns morgen zur Fähre zu fahren. Wir freuten uns, denn das waren gut drei Kilometer, waren aber etwas skeptisch, ob er davon morgen früh noch was wüsste. Überraschenderweise fuhr er pünktlich vor.
Das Herbergszimmer war ein spartanisches Tatamizimmer, gerade groß genug für das Futon und mit einem wirklich minimalistischen Notausgang, ein Seil in einem Sack.
Ich fand das Frauenbad nicht, wahrscheinlich hätte ich einfach nur das Schild am Männerbad umdrehen müssen, als es frei war. Egal, gegenüber gab es ein großes Badehaus. Beim Eintritt bekam ich einen Bademantel dazu und die Anweisung, dass ich erstmal zum Strand runter gehen sollte. Ibusuki ist eine dieser Kurstädte mit schwarzem heißen Vulkansand, in den man bis zum Kopf eingegraben wird. Wir hatten das Spektakel bei einem Strandspaziergang beobachtet. Leider hatte ich Sonnenbrand und verzichtete deshalb lieber auf diese Erfahrung. Das Bad selbst war Treffpunkt der Einheimischen, die auch ihre Kinder hier badeten und den neuesten Tratsch austauschten. Zahnbürsten, Rasierer und Kämme gab es hier aus dem Automaten. Drin standen mehrere Becken in unterschiedlich heiß zur Verfügung und mehrere Reihen mit Plastikhöckerchen.
Am Morgen ging es per Jetfoil nach Yakushima. Auf den ersten Blick sah das Boot wie eine ganz normale Fähre aus, aber auf Deck rumlaufen und das Meer im Wind beobachten gab es hier nicht. Angetrieben mit einer Flugzeugturbine rasten wir mit über 80km/h zur Insel. Anschnallen und Sitzen bleiben. Bald kam das grüne verzauberte Fleckchen in Sicht.
Die Fähre ging so früh, dass wir noch ganz verschlafen waren und auch noch nicht gefrühstückt hatten. Nahe am Hafen entdeckten wir ein Cafe, in dem sich praktischerweise auch die Touristeninformation befand. Der Plan: wir holen uns eine Wanderkarte und ein Sandwich, dann fahren wir ins Hotel und planen in Ruhe die nächsten Tage. Wir kamen im Plan bis zum Punkt Wanderkarte. Unter größtem Zeitdruck gab es in der Touristeninformation nur eine Information: Wenn ihr wandern wollt, dann jetzt, sofort, SOFORT. Morgen wird es regnen, übermorgen auch, es regnet hier immer, zu gefährlich für eine Wanderung in den Bergen. In einer halben Stunde fährt der Bus nach Shiratani, das ist der letzte, mit dem ihr noch den letzten Bus am Nachmittag zurück schaffen könnt. Kein Bento dabei? Bei der Bushaltestelle ist ein Supermarkt und jetzt losloslos.
Wir rannten also in den Supermarkt, ein richtig großer Supermarkt und warfen ein paar Sandwiches, Äpfel und Wasserflaschen in den Einkaufskorb. Dann rannten wir zur Bushaltestelle. Noch zehn Minuten, geschafft. An der Bushaltestelle lernten wir Charlotte kennen, sie fragte uns, ob wir morgen mit ihr die Insel mit dem Auto erkunden wollten.
An der Endhaltestelle trennten wir uns, Charlotte war schon startklar und hatte sich die längste Route ausgesucht. Wir mussten erstmal unser Gepäck loswerden. Zum Glück durften wir die Rucksäcke bei den Rangern lassen, aber nur bis vier.
Der erste Blick auf den Nationalpark war eine Felsige, mit Rhododendron überwucherte Schlucht, durch die sich ein Bächlein den Weg durch die Felsen bahnt. Was für ein verzauberter Ort, hinter jeder Wegbiegung wartete eine neue verwunschene Landschaft. Uns kamen viele Einheimische entgegen, die die Nacht im Park verbracht hatten. Für sie befindet sich hier ein spiritueller Ort, zehn Kilometer sind es bis zur Jomon Sugi, der ältesten Zeder im Park. Der Baum soll 7000 Jahre alt sein. So weit ging unsere Wanderung nicht und doch war sie unerwartet anstrengend. Überraschend in den subtropischen Regenwald geworfen, machte uns das Klima etwas zu schaffen und die Pfade waren steil und unwegsam. Serpentinenartig schlängelt sich der Weg durch den Wald nach oben. In den Wegbiegungen trafen wir immer wieder auf ein altes Flussbett mit vermoosten Felsen, an den steileren Stücken sind Stufen aus Felsen und Wurzeln ausgetreten.
Dann säumen mehr und mehr der alten Zedern den Weg. Aus den dicken, moosbewachsenen Stämmen recken sich die knorrigen Äste, verschlungen und viele Meter lang in alle möglichen Richtungen, und verzweigen sich weiter.
Winzige weiße Blüten wehen durch die Luft und bedecken den Boden. Manchmal führt der Weg mitten durch einen alten Zedernstamm hindurch. Dazwischen fließt hier und da ein Bächlein. Was für eine unwirkliche Welt, ist doch klar, dass es hier Baumgeister gibt. …und andere Spezialitäten. Eine kleine Gruppe kam uns entgegen, der Guide sprach uns an und fragte “Candy?” Warum nicht. Er öffnete die Hand und hatte einige eingerollte Blätter mit Raupen darin, er gab uns jedem eine.
Gegen Mittag wurde es immer heißer und nachdem wir auf wackeligen Steinen einen Fluss überquert hatten, legten wir am Ufer eine Pause ein. Direkt am Wasser war es etwas kühler. Die nächste Pause gab es unter einer 2000 Jahre alten Zeder. An der Anzahl der Bäche, die wir schon überquert hatten, konnten wir sehen, dass es nicht mehr weit war. Wir noch Zeit hatten, die Landschaft zu genießen und der Stress des Morgens war sowieso längst vergessen. Wir waren vom Hauptpfad abgebogen und schon seit Stunden fast allein unterwegs. In diesem Waldstück plätschern überall kleine Rinnsale und Holzbrücken fügen sich in die Landschaft, als wären sie schon immer da gewesen. Die kreuz und quer wuchernden Zedern geben einen bizarren Anblick ab.
Rechtzeitig zum Feierabend der Ranger kamen wir an der Hütte an, um unsere Rucksäcke abzuholen und trafen an der Bushaltestelle Charlotte wieder, die unterwegs von drei Affen angegriffen worden war, die es auf ihren Proviant abgesehen hatten.
Der Weg ins Hotel war ein Kampf. Gepäck, kein Schatten und es ging gut zwei Kilometer recht steil bergauf. Dabei hatten wir vom Wandern für heute eigentlich genug. Das Hotel war zum Glück unglaublich gemütlich. Zwar gibt es auch hier nur ein kleines Tatami Zimmer, aber es duftet überall nach frischem Holz und in dem gemütlichen Aufenthaltsraum gibt es erfrischenden Tee. Man kann auch alle möglichen Wanderutensilien hier ausleihen, sogar Schuhe. Wir brauchten erstmal ein Bad und eine Waschmaschine. Nachdem wir eine gute Stunde im Onsen gegart waren, waren wir wieder fit fürs Abendessen, schnell eine Nudelsuppe im Restaurant nebenan und dann schlafen. Was für ein Tag.
Wir kamen mit diesem Plan bis zur Rezeption, wo wir einen Schirm ausleihen wollten. Wo kämen wir denn hin, wenn wir heute doch noch selbst entscheiden könnten, was wir machen.
Nein, es sei Samstagabend, da geht jeder auf der Insel Essen und bei dem Wetter könnten wir nicht einfach rumlaufen und gucken wo Platz ist. Der Mann an der Rezeption rief erstmal im Suppenladen an, der sei voll, wir könnten aber warten und bekämen den nächsten Tisch. Besser wäre aber, wenn er uns zum Izakaya in die Stadt fährt, das sei die beste Option für einen Samstagabend und Platz gäbe es da immer, egal wie voll es ist. Na dann.
In einer schmalen Gasse landeten wir hinter einem Vorhang in einer kleinen Kneipe. In dem winzigen Raum war die Hölle los. Familien und Gruppen stapelten sich an den wenigen niedrigen Tischen, die mit zahllosen Gerichten bedeckt waren. An der Theke wurde brüllend Schnaps getrunken. Wichtig auf dieser schwülen Insel, immer ein Handtuch dabei zu haben, am besten in Schalform um den Hals getragen, fast jeder hatte eins. Wir wurden kurz und unauffällig beäugt, dann wurde wieder durcheinander gebrüllt, geschlürft und quer durch den Raum Bestellungen aufgegeben.
Es gab noch einen einzigen Sitzplatz im Raum, aber kein Problem, kurzer Hand rollte die Bedienung ein Bierfass an die Theke und legte ein Kissen darauf. Der Koch machte Sushi im Akkord und auch wir probierten die leckeren exotischen Fische die er in Höchstgeschwindigkeit direkt am Tresen zerlegte. Dazu das übliche, Pommes, frittiertes Hähnchen, Makrele. In dem bunten Treiben blieben wir dann doch noch auf ein Bier länger als geplant.
Wir sollten der Bedienung Bescheid geben, wenn wir zurück wollten, die würde dann im Hotel anrufen, damit uns jemand abholt. Aber warum so kompliziert, der Koch riss sich das Stirnband vom Kopf und fuhr uns zwischen zwei Makis nach oben.