Venedig – Aperitivo abseits vom Markusplatz – wie ich lernte die Turihölle zu lieben

Venedig – Aperitivo abseits vom Markusplatz – wie ich lernte die Turihölle zu lieben

Ich war als Jugendliche schon mal in Venedig, als Tagesturist. Verstopfte Gassen mit Ramschläden, keine Zeit sich zu verlaufen, weil es am Abend pünktlich mit der Fähre weiter ging, Hitze, Gestank, Horden von langweiligen Kreuzfahrtturisten, mich zog nichts erneut in diese Stadt. Aber Christian war noch nicht dort und neugierig. Irgendwann ließ ich mich breitschlagen, sogar für vier Tage und er gab sich schon mit Anreise und Hotel große Mühe, um am Ende doch als Sieger aus dieser Entscheidung hervorzugehen. 

Wir nahmen einen Parkplatz am Festland und wärend wir auf das Boot warteten, entdeckten wir schon die Dächer der Stadt mitten im Meer. Beeindruckt dachte ich, scheinbar ist Venedig wenigstens von Weitem schön. An einem Anleger an der Außenseite betraten wir die Stadt und der Weg zum Hotel überraschte mich erneut. Ein paar Einheimische tranken Spritz im Schatten einer Kirche und am ersten Kanal spielten Kinder Fußball. Hier und da hing Wäsche über den Kanälen und Gassen. Scheinbar lebt hier doch jemand.

Bald erreichten wir das Hotel, mitten in Cannaregio, nahe des Campo dei Santi Apostoli. Wir wurden mit einer großen Flasche Prosecco begrüßt, und konnten uns kaum entscheiden auf welcher der zwei großen Couchen wir den vernichten sollten. Der weite Blick über die Dächer der große Whirlpool im Hof versöhnten mich weiter mit der Stadt.

Kurz vor der Piazza biegt die Turiautobahn auf die nächste Ramschtrasse ab, kaum ein Kreuzfahrer traut sich hier vom Weg ab in die schmalen, verwinkelten Gassen. Hier herrscht das Treiben einer normalen italienischen Stadt, ein kleiner Baumarkt an der Ecke, Leute lesen Zeitung auf einer Bank, wer hätte gedacht, dass Venedig solche Ecken hat.

Schnell hatten wir auch hier unseren Lieblingsspot für den obligatorischen Aperitivo gefunden. In Venedig gibt es dafür eigene Läden, die nur Feierabendgetränke und die zugehörigen Snacks servieren. Cicchetti heißen sie hier und in der Bar Ai Santi fanden wir die besten gefüllten Windbeutel, mit Bacalao, Käse, und allem was man so in einen Windbeutel reintun kann, Kroketten, Fisch und wechselnde andere Leckereien. 

Als der Spritz leer war, hatten alle Tagesturisten die Straßen geräumt und wir unternahmen einen ersten Spaziergang durch eine überraschend atmosphärische Stadt.

Wärend die Plätze noch hell sind, kommt in die schmalen Gassen schon kaum noch Licht. Später taucht die dürftige, unregelmäßige Beleuchtung alles in ein geheimnisvolles Zwielicht. An den Hauptstraßen herrscht noch immer viel Trubel, kaum biegt man davon ab, hört man nur das seichte Plätschern der Kanäle und die eigenen Schritte auf dem Pflaster. Meistens geht es irgendwann nicht weiter, eine Brücke führt in ein Privathaus, eine Gasse endet an einem Kanal. Oft taucht überraschend ein kleiner Platz auf, immer mit Brunnen, das war früher die einzige Wasserversorgung der Stadt. Niedrige Wege führen mitten durch Häuser, enden in einem Hinterhof oder an einem Bootsanleger. 

Eines Abends landeten wir überraschend auf der Rückseite der Rialtobrücke. Was für ein Anblick.

Eigentlich kann man in der Altstadt alles problemlos zu Fuß erreichen, oft fehlt dafür aber die Orientierung. Wir entdeckten ein Geschäft, das ausschließlich Navigationsgeräte im Angebot hat. Vor Google Maps war das sicher eine Goldgrube, aber auch heute findet sich sicher noch der ein oder andere mit leerem Akku oder zu schlechtem Internet in diesem Laden wieder.    

Mit dem Vaporetto erkundeten wir die Stadt und die Inseln vom Wasser aus, mit etwas Glück und einem leichten Sonnenbrand erwischten wir zwei der wenigen Außenplätze mit der besten Sicht. Erst ging es nach Murano, vorbei an den vielen Glasfabriken. Diese Kunst prägt das ganze Stadtbild, das Geschirr in jedem Restaurant, Lampen und Figuren in allen Gebäuden. So gibt es auch im Hotel einen riesiger Leuchter von mindestens 3*2 Metern.

Unterwegs sahen wir, wie die Post hier verteilt wird, DHL ist mit dem Boot unterwegs. Hoffentlich fällt kein Paket von dem riesigen Stapel ins Wasser. Hier geht eben alles nur zu Fuß oder mit dem Boot. Wir sahen Krankenwagenboote, Taxis, private Wasserfahrzeuge von Familien, Baustellenwasserfahrzeuge, die Müllabfuhr. Zwischen den Inseln und zum Festland gibt es breite, mit Holzpfeilern begrenzte Wasserstraßen.

Nach einer Tour außen rum stiegen wir am Bahnhof in eine andere Vaporettolinie um, die uns durch den Canale Grande fuhr. Die Wasserstraße ist gesäumt von prunkvollen Palazzi, mit breiten Treppenabgängen zum Kanal. Eine gute Stunde blickten wir auf Villa an Villa, eine schicker als die andere.

Am Markusplatz stiegen wir aus, ach ja, Venedig, wie ich es in Erinnerung hatte. Schnell weg. So schnell es eben durch die verstopften Ramschmeilen geht. Wir kämpften uns ein paar hundert Meter bis zur Rialtobrücke durch und hatten Glück, denn eine Reisegruppe räumte gerade das Feld. So ergatterten wir einen überraschend ruhigen Platz auf der Brücke um noch einen Blick von oben auf den Kanal zu werfen. 

Auf der anderen Kanalseite liegt der Rialtomarkt, hier geht es wieder etwas ruhiger zu. Obst und Gemüsestände führen zur Markthalle wo Einheimische und Restaurants Fisch und Meeresfrüchte kaufen. Kurz vor Marktschluss sammeln sich die Möwen, um alle Reste zu ergattern. Und, so klein ist die Altstadt, gegenüber liegt schon unsere Vaporetto Haltestelle, Ca d’oro. Also kurz aufs Boot und dann durch die super schmalen Gassen schlängeln. Um den letzten freien Tisch am  Ai Santi zu ergattern. 

Neben den Läden mit Muranoglas sind Maskenläden die zweithäufigsten. In den Schaufenstern entdeckten wir die verrücktesten und kunstvollsten Gesichter und keines davon zwei mal.  

Auf einer Nachtführung erfuhren wir mehr über die Ursprünge der Verkleidungen. Die einfache weiße Maske, die Bauta, war früher eine Art Alltagskleidungsstück. Mit Anonymität vereinfachten die Venezianer ihr Leben, gleiche Gondel, gleicher Mantel, Maske. So konnte man ungestört in den Puff gehen, der früher Casino hieß oder anderen Aktivitäten nachgehen, von denen die Nachbarn nichts wissen sollten.  

An einem dieser Casinos kamen wir vorbei, im Boden über dem Eingang gab es ein Guckloch, unter dem man die Maske kurz lüften musste um rein zu kommen. 

Auf der Führung erfuhren wir noch mehr Kuriositäten. Schon seit Tagen wunderten wir uns über die selbst für italienische Verhältnisse extrem hohe Kirchendichte. In den Anfängen der Stadt gab es noch keine Brücken und die Kanäle konnten nur mit der Gondel überquert werden. Die Kirche aber musste fußläufig erreichbar sein, so baute jedes Inselchen eine eigene. Man könnte wohl Monate mit Kirchenbesichtigungen in Venedig verbringen. Wir beschränkten und auf die Chiesa Santa Maria dei Miracoli, weil sie uns im Vorbeigehen einladend erschien.

Die Friedhofsinsel wurde erst später erschlossen, wenn in den Kirchen kein Platz mehr war, wurden die Toten auf den Plätzen davor bestattet. Jeder Platz, der Campo heißt, war einst ein Friedhof, also genau genommen der überwiegende Teil der Stadt.  

Die Kommentare sind geschlossen.