Slawonien – Reise in die Vergangenheit

Slawonien – Reise in die Vergangenheit

Mit einem Mietwagen machten wir uns auf dem Weg nach Osten in die Region Slawonien, aus der meine Großeltern stammen. Als Kind haben mich die Geschichten über das fremde Land immer fasziniert. Wir konnten noch ein paar alte Wohnadressen herrausfinden, die mussten wir jetzt nur noch finden. 

Als erstes steuerten wir Nasice an, eine kleinere Stadt, in der meine Oma zuletzt gelebt hat bevor sie das Land verlassen musste. Zur Orientierung gingen wir zum Schloss, das ich auch schon aus Erzählungen kannte. Es liegt direkt an der Hauptstraße, umgeben von einem Park. Früher konnte man dort Schlitten fahren. Das Schloss gehörte der Familie der Komponistin Dora Pejačević.

Das Schloss ist schon etwas verfallen und in einem Teil scheint jetzt die Stadtbibliothek untergebracht, sie hatte leider schon zu. In einem größeren Nebengebäude waren aber noch Leute. Radio Nasice stand an der Tür. Klar, da ist sicher rund um die Uhr jemand da. Von einem anderen Eingang kam uns ein älterer Mann entgegen, er sprach aber kein Englisch und bat uns zu warten. Er holte eine Frau die uns erklärte, dass in diesem Gebäude eine Musikschule sei und uns stolz herum führte, sie sei hier Geigenlehrerin. Die Musikschule beheimatet auch das Dora Pejačević Orchester. Neugierig kam auch die Direktorin dazu. Sie wunderte sich sehr über Touristen in dieser Stadt. Wir fragten sie nach den Adressen und dem Bahnhof sie erklärte uns den Weg. Die Geigenlehrerin wohnt selbst in einem der Häuser.

Eines der Gebäude interessierte mich besonders, denn es war Schauplatz einer recht dramatischen Geschichte. Meine Oma hatte viele Geschwister und im Chaos der überstürzten Flucht wurde der Jüngste, noch ein Baby, in seinem Bettchen vergessen. Erst am Bahnhof bemerkte die Familie, dass niemand das Baby mitgenommen hatte. Meine Oma, die Älteste, schlich sich also den Weg zurück und durch die Hintertür ins Haus um ihren Bruder zu holen, während vorn schon die Soldaten eingedrungen waren. Gerade noch rechtzeitig schafften die beiden es zurück zum Bahnhof. 

Eigentlich wollten wir noch nach Darcovac, wo meine Oma geboren und mein Opa aufgewachsen waren. Wir konnten das Dorf aber auf keiner Karte finden und da es vermutlich eine deutsche Siedlung war, ahnten wir nichts gutes. Wir fuhren also erstmal weiter nach Osijek, wo wir die nächsten Nächte verbringen wollen. Der Weg war nicht weit, führte aber durch zahllose Dörfer. Eigentlich grenzt ein Dorf direkt an das nächste. Die meisten bestehen nur aus einer Straße mit einem Wassergraben am Rand und diesen traditionellen slawonischen Häusern, wie ich sie von Fotos kannte. Einstöckig, hell gestrichen und mit einem Laubengang zum Hof. Einige sind mit Wein bewachsen. Meistens gibt es noch eine kleine Kirche, manchmal auch nur einen Kirchturm.

Etwas abseits der Innenstadt liegt die Altstadt, die eher eine große Festungsanlage ist. Wenn es mal nicht regnet, ein helles freundliches Fleckchen. Hier liegt unsere Unterkunft. Die Vermieterin wollte alles genau wissen, was wir vor haben, wo wir sonst schon waren,… im Gegenzug wussten wir anschließend genau, wo es das beste Perkelt und Paprikas gibt und was wir alles noch sehen müssten. Nur Darkovac kennt sie auch nicht. 

Fürs erste empfahl sie uns ein Restaurant um die Ecke, das wir auch gleich aufsuchten. 

Drin sah es aus wie in der Küche meiner Oma, mit bestickten Wandhandtüchern und alten Fotos und das Essen wurde in ähnlich großen Portionen serviert. Wir bekamen einen großen Topf Perkelt, ein Fischeintopf mit Paprika  und, was auch immer man in diesem Teil des Landes bestellt, es gibt eine Schüssel Nudeln dazu und gebratenen Speck als Gewürz. An anderen Abenden gönnten wir uns Fisch Pakrikas und Cobanac, auch in riesigen Töpfen und mit Nudeln und Speck.

Auf der Fahrt durch die Stadt und auch auf dem Weg ins Restaurant fielen uns die vielen Fassaden auf, die eigentlich noch nicht so alt waren, aber mit Einschusslöchern übersät. Jedes Haus ein Mahnmal.      

Am nächsten Tag starteten wir nochmal die Suche nach dem Dorf Darcovac. In einem Kroatischen Wikipediaartikel fanden wir die Koordinaten und irgendwo auf einer schmalen, abgelegenen Landstraße entdeckten wir tatsächlich ein Schild. 

Der Abzweig führte einen steilen, schlammigen Feldweg mit tiefen Gräben hoch und wir hofften, nicht im Gelände stecken zu bleiben. Oben angekommen, fanden wir drei Bauernhöfe und einige verfallene Häuser vor. Vom Dorf war eigentlich nichts übrig, aber es war noch zu erkennen, wo die Straße gewesen sein musste, in der meine Großeltern lebten.

Zwei Häuser fanden wir noch und einen Geräteschuppen. Es war aber sicher sehr schön hier, denn das Dorf liegt oben auf einem Berg, mit weitem Blick über Blumenwiesen, die wohl mal Felder waren, bis zu den Waldrändern im Tal. Die Wälder leuchten jetzt im Herbst ganz silbern, wegen der vielen Silberpappeln.

Auf dem Rückweg fuhren wir noch durch Velimirovac. Hier sind viele der alten Häuser hübsch restauriert, leider steht von meiner Familie kein Haus mehr, es sah aber sicher ähnlich aus.  

Wir sahen uns noch die Innenstadt von Osijek an, mit der Atmosphäre einer Unistadt, zwischen den vielen alten Villen und gemütlichen Cafes hätten wir noch eine Weile bleiben können. Einige seltsame Bauwerke und Kunstwerke aus der Sowjetzeit fanden wir auch dazwischen. 

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