
Sarajevo – neue alte Stadt
Von Bosnien sahen wir als erstes die gewöhnungsbedürftigen Seiten. An der Grenze kamen wir durch ein Dorf, das aus verlassenen Hochhäusern besteht, kurz danach durch ein riesiges, leerstehendes Industriegebiet, das scheinbar von der letzten Flut zerstört wurde. Dann ging es weiter durch kleine Dörfer mit neuen Häusern und qualmenden Schornsteinen zwischen zerbombten und ausgebrannten Ruinen. Am Straßenrand gab es überall Minenwarnschilder. Der erste Eindruck wandelte sich jedoch schnell, um so weiter wir ins Landesinnere kamen. Die Berge wurden immer höher und die Ortschaften immer hübscher. Kleine gemütliche Dörfer im Gebirge, dazwischen Wälder. Wir fuhren zwischen hohen Felswänden hindurch, durch eindrucksvolle Berge und immer wieder durch Tunnel, natürlich ohne Belüftung, Beleuchtung oder Notausgang.
Wir hatten uns für die Strecke ohne Autobahn entschieden um mehr vom Land zu sehen. So brauchten wir durch die kurvigen Straßen mehrere Stunden bis Sarajevo. Als es dunkel wurde fanden sich hier und da Wölfe auf der Straße ein, wahrscheinlich hielten sie Ausschau nach leckeren Autofahrern, die vom Weg abgekommen waren.
Endlich lag vor uns in einem runden Talkessel ein beeindruckend schönes Lichtermeer, Sarajevo.
Unser Hotel liegt an der Latinski Most, die Brücke an der 1914 Franz Ferdinand erschossen wurde.
Auf unserer Flussseite zieht sich die Stadt mit kleinen Einfamilienhäusern malerisch die Berge hoch. Auf der anderen Seite liegt die Altstadt, die zwar im Krieg fast vollständig zerstört, danach aber schnell wieder originalgetreu aufgebaut wurde. Vom belebten, von Imbissen und kleinen Läden gesäumten Pigeon Square aus unternahmen wir einen Spaziergang durch die schmalen labyritartigen Gässchen.
Schnell hatten wir völlig die Orientierung verloren, egal, auf einem kleinem Platz gab es ein gemütliches Cafe und einen Mocca im Blechkännchen. Hier konnten wir wunderbar das bunte Treiben in der Altstadt beobachten. Vor kurzem hatte es noch geregnet und mit der Sonne kamen auch immer mehr Menschen auf die Straßen und in die Cafes. Die Geschäfte stellten ihre Waren wieder nach draußen, wodurch die Gässchen noch etwas enger wurden. In der Nähe stießen wir auf einen Souvenirladen mit fragwürdigen Produkten. Als Wahrzeichen der Stadt war der Attentäter auf T-Shirts und Beuteln abgebildet.
In einer noch verwinkelteren Gasse an der Moschee fanden wir später ein Restaurant, in dem wir uns mit bosnischen Spezialitäten vollstopften, Hauptsächlich verschiedene Gemüse mit Hackfleisch gefüllt. Unerwartet ging der Tag Kulinarisch weiter. Aus der Altstadt kamen wir in die breite Fußgängerzone, als der Regen wieder anfing. Das Wasser sammelte sich auf der Sraße zu einem Bach und als unsere Regenjacken an ihre Grenzen stießen, retteten wir uns in eine alte Konditorei. Der Laden war gut besucht, obwohl nicht mehr als ein länglicher, mit braunem Blumenmuster gefliester Raum mit 4 oder 5 fest installierten Tischchen und runden Höckerchen um schnell ein Stück Torte zu verspeisen. Dennoch schienen die meisten hier häufig und länger zu verweilen.
In der Theke war ganz unten das bosnische Gebäck, also Baklava und alles mögliche in Sirup ausgestellt, darüber schokoladig-cremige Leckereien und ganz oben Sahnetorten. Wir konnten uns nicht gleich entscheiden und wurden schnell beraten. Die Sahnetorten seien ja eher für Leute, die gerade Diät machen. Schon waren wir neugierig auf die Sachen in der Mitte und suchten uns davon zwei Stückchen aus. Beim ersten Bissen verstanden wir die Sache mit der Diät. Wir hatten es mit als Kuchenstück verkleideten Pralinen zu tun. Lecker und höchstens 5000 Kalorien pro Stück!
Bezahlen konnten wir das ganze in Mark, die zwar anders aussieht, aber dem Wechselkurs der DM entspricht. Was man für 20 Mark nicht alles bekommt.
Am Abend hatte der Regen zum Glück aufgehört und wir besuchten noch eine Bar außerhalb der Stadtzentrums. Unterwegs kamen wir bei der Ewigen Flamme vorbei, die seit 1946 für die Opfer des zweiten Weltkriegs brennt.
Während der Belagerung in den 90ern wurde die Lebensmittelversorgung in der Stadt knapp und der einzige Ausweg, über das Rollfeld des Flughafens immer gefährlicher. So gruben die Bewohner einen über einen km langen Tunnel. Einen Teil davon kann man in der Nähe des Flughafens noch betreten. Er ist niedrig, stellenweise nur 1,20m hoch und eng. Am Boden steht Wasser und an den Wänden wurden Telefonkabel und die Gasversorgung in die Stadt geführt. Unglaublich, dass diesen Tunnel am Tag bis zu 3000 Menschen passierten. Auch ein Orchester wurde hier aus der Stadt geschleust um auf internationale Tour zu gehen.
In der Nähe des Tunnelmuseums kamen wir zuerst an einem kleinen Souvenirladen vorbei und dachten wir müssten dort Eintrittskarten kaufen. Hier lernten wir Abid kennen. Christian hatte ein paar Tage zuvor eine Dokumentation gesehen und erkannte ihn wieder. Er lud uns ein, nach der Tunnelbesichtigung zu ihm zu kommen. Abid hatte den Tunnel mit gebaut. Er war LKW Fahrer und transportierte, was durch den Tunnel gebracht wurde, versorgte die Stadt mit Lebensmitteln.
Er erzählte uns, dass er die steile Straße über den Igman, die uns bei Tag schon gefährlich erschien, nachts ohne Licht fahren musste, damit der Tunnel nicht aufflog.
Im Garten zeigte er uns den alten LKW von damals und ließ uns, so wie das in diesem Land üblich und lecker ist, frisches Quellwasser aus seinem Gartenschlauch trinken.