Rago – verwunschenes Tal, wilde Flüsse

Rago – verwunschenes Tal, wilde Flüsse

Manchmal zweigt zwischen zwei Tunneln versteckt ein unscheinbarer Weg ab. Oft führt der nur auf einen Parkplatz oder endet im Nirgendwo. Aber einer dieser Wege führt in den vielleicht privatesten Nationalpark Norwegens. Der Weg ist nur wenige Kilometer lang, führt vorbei an einer handvoll Häuser. Dann ist Schluss mit Zivilisation, Elche, Rentiere und sicher auch Bären übernehmen das Kommando. Kein Hotel und nur ein einziger Campingplatz, und der ist fest in der Hand von Dauercampern.

Bevor wir diese Wildnis erkundeten, machten wir erstmal den Rest des Tages nichts. Der rustikale Campingplatz liegt eingekesselt zwischen Fjord, Fluss und steilem Fels. Es war Freitag und es war Mitsommer, also reisten von den Dauercampern nach und nach fast alle an. Wir wurden höflich begrüßt, sonst aber nicht weiter beachtet. Die meisten Norweger sind ja eher zurückhaltend in der Kontaktaufnahme, das kannten wir schon.  

Vor dem Abendessen machten wir noch einen kurzen Spaziergang auf dem einzigen Weg. Im Fjord beschwerten sich ein paar Schafe, die von der Flut auf einer Sandbank eingeschlossen waren, Farn und Moos spiegelte sich im Abendlicht in den Seen am Wegesrand und überall plätscherten kleine Wasserfälle. Wenn es hier keine Trolle gibt, wo dann? Leider genossen auch die Mücken den ersten warmen Abend seit Wochen und freuten sich über zwei Snacks auf ihrem schutzlosen Spaziergang. 

Später brieten wir uns das obligatorische Stück Lachs und auf dem Campingplatz wurde emsig Holz für die kleinen Mittsommer Feuer hin und her geschleppt. Bald kam die große Überraschung, nach zwei Bier standen zwei der Nachbarn auf und kamen mutig mit einem Teller zu uns. Wir freuten uns, Kontaktaufnahme mit Einheimischen. Sie hätten geräuchertes Walfleisch, wir sollten probieren. Was nun? Erklären, was wir vom Verzehr von Walfleisch halten? Wir entschieden uns für die freundliche Variante, sagten wir seien Vegetarier, was ja zu 50% auch stimmt. Aber hatten sie den Lachs bemerkt oder ist das hier ein Grundnahrungsmittel, das nicht weiter auffällt? Sollten wir erklären, dass wir Fisch essen, Fleisch aber nicht? Wirds dann noch schwieriger? Ok, sie gingen wieder. Schade dass es Wal war, über die Geste hatten wir uns dennoch gefreut.

Noch zwei Bier später war der Wal vergessen, der nächste kam rüber und fragte ob wir in den Park wollten? Ja, genau, morgen. Das Handy wurde gezückt, Fotos von den besten Spots gezeigt, die Karte erbeten, um den besten Weg einzuzeichnen. Die Leute hier sind ziemlich stolz auf diesen versteckten Nationalpark, das hatten wir bei der Anreise schon bemerkt. Wir waren begeistert von den Fotos und konnten es kaum erwarten dieses herrliche Fleckchen selbst zu erkunden. 

Am nächsten Morgen gehörten wir dazu, alle paar Minuten kam jemand vorbei um uns zu sagen, dass wir bis Sonntag bleiben sollten, weil am Sonntag ein Foodtruck mit Thaiessen käme. 

Der Aufstieg in die Wildnis startet am Ende der Straße. Vorher erwartete uns dort noch eine traumhafte Kulisse, mit buntem Bauernhof am Fjord, zwischen Farnüberwucherten Bergen.

Wir folgten dem steilen Pfad nach oben in den dichten, düsteren Wald, gleich zwei riesige Ameisenhügel entdeckten wir hier. Als der Wald lichter wurde, erreichten wir einen wilden, breiten Fluss und bald auch dessen Ursprung an einem tiefblauen See in sumpfigem Gelände. Schnell, mehr Mückenspray! Vor uns wartete schon die nächste Landschaft, ein wirklich hoher Wasserfall. Auch wenn es in Norwegen Wasserfälle im Überfluss gibt, sattsehen können wir uns daran nicht. 

Unter dem Wasserfall kletterten wir über Felsbrocken am Ufer des Flusses entlang und ab und zu über tiefe schwarze Höhlen, aus denen uns ein kalter Luftzug erfrischte. Der Wasserfall teilt sich unten in zahlreiche Bächlein, die wir überqueren mussten. Man könnte hier alle paar Meter stehen bleiben und stundenlang die Aussicht auf die wilde, unberührte Natur genießen. Zahllose Grün- und Blautöne stapeln sich in der menschenleeren Wildnis. Weiter oben gesellen sich noch kleine Sandstrände dazu. 

Dann erreichten wir die Hängebrücke, auf der ich über dem fließenden Gewässer schnell die Orientierung und das Gleichgewicht verlor. Dennoch blieb ich lange auf der Brücke, denn die beste Aussicht auf Berge und Fluss gibt es von hier, mittendrin. Oben staut sich ein stiller See vor einer hellen Felskulisse, unten braust der Fluss Richtung Tal. Malerisch. Am anderen Ufer fanden wir einen Picknickspot auf einem Baum.

Nach einer Weile trafen zwei andere Wanderer ein. Wir überließen ihnen den Baumstamm und kletterten über die Felsen zurück. An einem der Sandstrände versuchte ich ein Bad, brrrrrr, Schmelzwassen, tiefer als Knie ging nicht. Doch für eine Erfrischung war es genug und ganz hätte ich diesem klaren blauen Wasser nicht widerstehen können.

Im Wald begegnete uns ein Elch, was für ein riesiges Tier. Umgekehrt war er von uns wenig beeindruckt und stolzierte weiter.

Zurück im Tal war es erst Nachmittag und wir entschieden, noch ein Stück nach Süden zu fahren. Die Wanderschuhe hatten wir noch an, also machten wir noch einen Stopp in den Birkenwäldchen knapp oberhalb des Polarkreises. 

Hier fanden wir einen weiteren spektakulären Fluss in der kargen Landschaft, mit einer weiteren Hängebrücke. Zwischen kümmerwüchsigen Sträuchern durchquerten wir erstmal einen glatt geschliffenen Bach, um ans Ufer des wilden Stroms zu kommen. 

Weniger abgelegen als am Morgen, doch die Brücke war länger, der Fluss schneller und ich hatte in der Mitte wirklich nennenswerte Schwierigkeiten einen Fixpunkt zu finden und überlegte ernsthaft, den Rest des Weges über den Boden zu robben. Der Fluss vermittelt einen ähnlichen Eindruck wie ein einfahrender Zug im Bahnhof, wenn man selbst in einem stehenden Zug sitzt. Nur überquert man in diesem Zustand normalerweise keine wackelige Brücke. Geradeaus zu gehen wird fast unmöglich, wenn der Fluss einen glauben lässt, man würde ganz schnell entgegen der Fließrichtung wegtreiben. Klar, man könnte sich eine der knorrigen Birken am Ufer aussuchen und darauf starren, doch was tun, wenn die Aussicht auf den Fluss dafür einfach zu eindrucksvoll ist?

Am Polarkreis tröpfelte und plätscherte es nun überall. Wo vor einer Woche noch Eis und Schnee war, gibt es nun überall kleine Seen und Schmelzbäche.

Knapp unterhalb wollten wir übernachten und landeten völlig unerwartet nach unzähligen Highlights und Plätzen, von denen wir glaubten, dass sie schöner nicht sein könnten, auf dem neuen “der schönste Campingplatz der Welt”, in Krokstrand. 

Christian steuerte zielstrebig die leicht zu übersehende und deshalb fast leere Wiese am Fluss an und parkte das Auto am Waldrand. Direkt vor uns toste der Fluss, weiter oben, noch lauter ein breiter Wasserfall, gegenüber dichter Wald und eine einsame Hütte. Am Wasserfall war ein Rentier unterwegs.

Wir hatten etwas Sorge, dass der Fluss zu laut zum Schlafen wäre, doch das Geräusch, laut wie eine Baustelle, erwies sich als beruhigend und einschläfernd. Auf den umliegenden Bergen liegt immer noch Schnee, der nachts rosa und orange im Sonnenlicht glitzerte.

Am Morgen unternahmen wir noch eine kleine Wanderung durch das dunkle, schattige Wäldchen zum Wasserfall. Über bunte Flechten kletterten wir zu den Felsen, die hier kleine blaue und grüne Pools bilden. 

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