Nara – Dem großen Buddha sein Nasenloch

Nara – Dem großen Buddha sein Nasenloch

Am Bahnhof in Nara entschieden wir uns nach der dreistündigen Fahrt für den Fußweg, so konnten wir direkt durch die kleinen niedlichen Gassen schlendern und die Stadt entdecken. Das verschlafene Örtchen fühlt sich nach Tokyo wahnsinnig entschleunigend an und wir merkten erst jetzt wie anstrengend diese Großstadt wirklich war. Am Bahnhof gab es noch ein paar Wohnblocks, aber bald fanden wir uns zwischen Holzhäusern mit kleinen Geschäften und hier und da einem kleinen Schrein dazwischen. Manche Häuser sehen wie alte Lagerhäuser aus, andere haben kleine Gärtchen, natürlich mit Zierpflanzen, wer braucht schon Gemüse. 

Um die Mittagszeit war außer uns und ein paar japanischen Touristen niemand auf den Straßen. Als wir unsere Unterkunft erreichten, war auch da niemand, nur ein Wohnhaus. Wir suchten eine Klingel, klopfen an die Haustür, kein Lebenszeichen. Irgendwann gingen wir rein, die Tür war offen, Schuhe aus und ins obligatorische Schuhregal, erkundeten wir die Flure. Niemand da. An einer Zimmertür steckte ein Schlüssel, also nahmen wir schließlich das Zimmer, fanden einen Ordner mit Willkommensschreiben und Infos und ein paar Snacks auf dem Esstisch. Daraus schlossen wir, dass Airbnb in Japan wohl etwas anonymer ist, als anderswo. 

Bevor wir die Stadt erkunden konnten, mussten wir noch eine kleine Herausforderung meistern. Wir hatten kaum noch saubere Kleidung. Auf der Suche nach dem Vermieter hatten wir zwar schon die Waschmaschine entdeckt, wurden aber aus der Beschriftung nicht schlau. Christian versuchte die Zeichen zu übersetzen, aber auch das half uns nicht weiter, bis wir akzeptierten, dass es nicht an der Beschriftung lag, sondern auch Wäsche waschen hier irgendwie anders funktioniert. Man kann die Temperatur nicht wählen, sondern nur die Minutenzahl, die jeweils gewaschen und geschleudert werden soll. Eine der Kombinationen erschien uns dann am ehesten als „Normal mit Schleudern“. Einen Waschgang, der länger als eine halbe Stunde dauert, gibt es nicht. Wir hatten Glück, die Wäsche wurde sauber und hatte noch die gleiche Größe wie vorher.    

Was gibt es denn nun in Nara? Den großen Buddha. Doch den muss man erstmal erreichen, eine riesige Herde Sikahirsche, deren Revier bis zum Rande der Altstadt reicht, verteidigt den Tempel. Ihre Strategie dabei ist, an Kleidung knabbern und niedlich gucken. Wie wir durch ein eindrucksvoll illustriertes Warnschild am Ticketschalter lernten, kann aber auch Bite, Kick, Butt und Knock down dazugehören. Wenn ein Hirsch das Ticket erwischt, Pech gehabt. Naja, genau genommen verhielten sich die Tiere friedlich, aber es waren hunderte und wir mussten mitten durch. Am Parkeingang gibt es einen kleinen Stand, wo eine Frau Kekse zum Füttern verkauft und ihre Ware mit einem stacheligen Besen verteidigt. Hat man die Kekse verfüttert, muss man wieder gut auf Kleidung und Ticket aufpassen.

Neben uns waren unter der Woche vor allem zahllose Schulklassen unterwegs, fast im Minutentakt kamen Busse mit uniformierten Kindern an. Die Schüler sollten hier nicht nur den großen Buddha sehen, sondern hatten noch eine extra Aufgabe, eine Unterhaltung mit einem ausländischen Touristen anzetteln. Keine schlechte Idee für den Englischunterricht. So machten wir gleich Bekanntschaft mit zwei Schülergruppen. Die ersten Teenager, schämten sich etwas. Sie hatten ein Heft dabei, in das wir unsere Namen schreiben sollten und machten ein Foto von uns. Wer uns was fragen sollte wurde untereinander auf japanisch diskutiert. Die zweite Gruppe waren jüngere Kinder, mit ihrer Lehrerin. Sie waren neugieriger, fragten alles, was sie gerade schon konnten und jeder wollte mal dran sein. 

Durch ein großes hölzernes Tor erreichten wir den riesigen, ebenfalls hölzernen Tempel, in dem der große Buddha sitzt. Zur seiner Fertigstellung im 17. Jahrhundert, wirkte die 15 Meter hohe Figur sicher wahnsinnig eindrucksvoll. Auf uns wirkte erstmal die mit hunderten identisch gekleideter Kinder gefüllte Halle. Auf seinem Sockel war der Buddha wohl auch erstmal zu weit weg. Erst von der Seite erkannten wir seine riesige, beeindruckende Dimension. Wir umquerten ihn einmal und entdeckten dann den Beweis für sein riesiges Ausmaß. 

Es bringt Glück, wenn man durch das Nasenloch des Buddha passt, aber natürlich kann man nicht einfach auf seinen Schoß klettern und in die Nase kriechen. Deshalb gibt es eine originalgetreue Nachbildung des Nasenloch in einem Holzpfeiler. Verzweifelte Szenen spielten sich hier ab. In einer langen Schlange warteten die jüngeren Kinder, um ihr Glück zu versuchen, und bei den meisten passte es höchstens gerade so. An dem speckigen Holzloch wurde geschoben und gezogen und gejammert. Wir fragten uns, wie oft wohl ein Kind im Nasenloch stecken bleibt. So groß jedenfall ist dieser Buddha, das zehnjährige durch sein Nasenloch kriechen können.

Interessant sind auch die vielen detaillierten Figuren um den Kopf herum. Sie haben alle unterschiedliche Größen, sodass sie von unten exakt gleich groß aussehen. 

Rund um den Tempel gibt es noch mehr zu entdecken, ein riesiger Park erstreckt sich den Hügel hinauf, zu einer weiteren Tempelanlage. Unten im Bach sammelte eine Familie Krebse fürs Abendessen. Der kleinste, vielleicht 2 oder 3, lockte sie mit einem Stäbchen aus dem Sand, Mutter und Tochter tupperten sie ein. Eine verträumte Steintreppe führt unter schattigen Bäumen vom Bach nach oben. Hier und da begegnete uns noch ein Hirsch. 

Oben angekommen, wollten wir uns ausruhen und kehrten in etwas ein, das wir für ein schlichtes Restaurant hielten. Scheinbar gehörte das mit Tatami ausgelegte Gebäude aber zum Tempel. In der Mitte gab es einen Spender mit Tee und ein Becken zum Tassen spülen. Nach kurzer Beobachtung der anderen Leute im Raum, nahmen wir uns zwei Tassen Tee und setzten uns an einen der niedrigen Tische. 

Dann besichtigten wir den Tempel. Von der Terrasse beeindruckte uns der Blick auf die Anlage darunter, ein großer Platz mit alten Häusern und einem Glockenturm, über den Park, bis hinunter zum großen Buddha. In den Tempel selbst konnten wir gar nicht hinein, er ist bis unters Dach mit Schätzen und Reliquien vollgestopft. Die Sammlung war aber auch von außen eindrucksvoll. Blechlaternen und bunte Fahnen säumen die Terrasse und verleihen dem Ort zusätzlich eine spirituelle Atmosphäre. Bemooste Steinlaternen säumen den Weg zurück nach unten. 

Mit pechschwarzen Wolken und Sturm zog ein Gewitter auf und wir schafften es gerade noch trockenen Fußes in ein Okonomiyakirestaurant, das sich jetzt schnell füllte. Alle Tische haben eine heiße Platte in der Mitte, die schon mal angeheizt wurde, als wir uns setzten. Pfannkuchen sind die Spezialität der Region. Wir bestellten erstmal zwei, nahmen uns dann aber ein Beispiel an den anderen Gästen, die immer wieder welche nachbestellten. Sie schmecken ja auch so gut. Auf dem Tischrand stellten wir unsere kleinen Teller ab, um die mit den kleinen Pfannenwendern zerteilten Stücke etwas abkühlen zu lassen. Wir bestellten uns einen Salat dazu, eine hochpreisige Hand voll Blätter und eine Tomate und doch ein Hochgenuss. Gemüse ist in diesem Land einfach selten und teuer. 

Nach dem Essen goss es draußen noch immer wie aus Eimern und als der Koch bemerkte, dass wir gehen wollten, bekamen wir zwei Regenschirme, mit umfangreichen Entschuldigungen, dass einer am Griff etwas kaputt war. Solche durchsichtigen Schirme hatten wir uns auch in Tokyo gekauft, aber in der Sammlung identischer Schirme vor dem Haus vergessen. Wahrscheinlich sind sie einfach herrenlos und wechseln nach jedem Regen den Besitzer. Wie sollte man auch den eigenen wiederfinden, wenn sie alle gleich aussehen. Regenschirme, so ließen wir uns sagen, gehören auch zu den wenigen Dingen, um die in Japan eine gewisse Kleinkriminalität existiert. Fahrräder muss man nicht anschließen, auch das Telefon kann man im Fahrradkorb vor dem Laden kurz liegen lassen. Aber wer einen Regenschirm länger behalten möchte, sollte gut darauf aufpassen.                              

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