Masuren – Seen, Mythologie und Bunker

Masuren – Seen, Mythologie und Bunker

Zum Glück macht das nur einen winzigen Teil unserer Reiseerlebnisse aus, aber hin und wieder sieht man leider auch weniger schönes. 

Aber fangen wir doch erstmal beim Schönen an, bei Masuren, da ist immer ein See in Sichtweite, manchmal im dichten, sandigen Kiefernwald versteckt. Und zwischen den Seen liegen idyllische Bächlein und seichte Hügel, die mit Kornblumen, Mohn oder Disteln bedeckt sind. Außerdem, keine Straße ohne Bäume, Alleen sind hier obligatorisch und verbinden die winzigen Dörfer, von höchstens fünf Häusern, und kleine Bauernhöfe. Wer es hier genauso schön findet wie wir, sind die Störche. Wo immer sich ein Nistplatz findet, sitzt auch einer und viele Dörfer bieten sogar extra Gestelle an, die immer besetzt sind. Wo immer eine Wiese ist, ist ein Storch nicht weit, auch auf den Campingplätzen.

Gruselige Baumwurzeln auf umgedrehten Stämmen wiesen uns den Weg zum Campingplatz Galindia, an dessen Einfahrt uns jemand im Fellkostüm begrüßte. An der Rezeption erwarteten uns geschnitzte überlebensgroße Soldaten, eine Drache und ein Wikinger, der seine Keule suchte. In den toten Bäumen in der Rezeption nisteten niedliche Schwalben, die aufgeregt raus und rein flogen und irgendwie auch zur Deko gehören. 

Der Campingplatz hat auch ein Hotel, oder andersrum. Und nach einem kurzen Blick auf den Wetterbericht, entschieden wir, nach einem Zimmer zu fragen. 8 Grad, brrrrr.  

Eine Wikingerfrau führte uns durch den Garten aus Farn und Rosen zum letzten freien Zimmer. Dort und auch unterwegs ist alles aus Holz oder anderem Naturmaterial, der Balkon aus urigen Stämmen und Strohmatten, geschnitzte Möbel und gruselige Wandbilder. Die gesamte polnische Mythologie findet sich auf diesem Areal. 

Vom Balkon aus hatten wir einen traumhaften Blick auf den See und den Sonnenaufgang. 

Abendessen gab es im Keller, zwischen Monsterkamin und Riesenmotte und komplett verwucherten Fenstern.

Aus dem Keller auch wieder raus zu kommen, war garnicht so selbstverständlich. Vom Restaurant zweigt ein riesiger Dungeon ab, mit Werwolfschädeln, Midgardschlange und alles was Polen an Monstern hergibt, dazwischen eine Bar, ein verstecktes Billardzimmer und ein riesiger Festsaal mit überdimensionalem Kamin und Fellen. Am nächsten Morgen fanden wir hier auch das deftige Frühstück, mit allem was man aus Eiern machen kann, Würsten und toter Oma.

Am Ausgang liegt der See. Genau genommen liegt der See überall, denn die Anlage befindet sich auf einer kleinen Landzunge. 

Am Morgen zogen wir auf den Campingplatz um. Der ist ein Labyrinth aus aneinander gereihten Wiesen am Wasser, mit verworrenen Wegen. An den Figuren kann man sich aber gut orientieren. Vorbei an dem Typen der im Baum eingeschlossen ist, dann hinter dem Scheiterhaufen rechts, ist das Bad, in einem komplett mit Efeu überwucherten Haus. Durch dichten Farn führte ein winzig schmaler Trampelpfad auf die mystische Veranda hinter dem Efeu. Über eine ebenso verwucherte Treppe auf der anderen Seite geht es am Abend zur Bar. 

Bei dem Riesen, der Kinder mit Süßigkeiten in den Wald lockt, geht es gerade aus zum Strand. Einen kleinen Strand hatten wir aber auch selbst, direkt hinter dem Auto. 

An der Strandbar liehen wir Fahrräder aus und fuhren ein Stück durch den Wald bis zum Fluss, allerdings sind die Leihfahrräder hier, wie so oft, gerade noch so zum angucken geeignet und so war die Radtour auch schnell wieder beendet. Zurück zur Strandbar, wir  tauschten die Räder gegen Bier und eine Hollywoodschaukel und verbrachten den Rest des Tages dort und an unserem kleinen Privatstrand, in Hängematte und See. 

Außerdem konnten wir nicht genug von dieser Anlage entdecken. Campingplatz oder Sehenswürdigkeit? Hinter jeder Wegbiegung tauchten neue Figuren auf, die Krötenschule auf der Wiese nebenan, die riesigen Bäume am Lagerfeuer beim Restaurant und die geheimnisvollen Spazierwege hinten am Seeufer zwischen Wurzeln und Schilf. 

Genug Mythologie, Masuren hat noch andere Sehenswürdigkeiten. 

Die Wolfsschanze, dass wir hier auf extrem fragwürdiges Publikum treffen würden, hätten wir uns denken können. Dieses interessierte sich allerdings nicht für die geschichtlichen Hintergründe oder Informationen zu den Gebäuden, sondern saß nur in ungepflegten, etwas zurückgeblieben wirkenden Gruppen auf dem angeschlossenen Campingplatz und schwafelte Verschwörungstheorien. Auch irgendwie sehenswert, wenn es uns nicht so peinlich wäre, die gleiche Sprache zu sprechen. Zum Glück hatten wir nicht vor, hier zu übernachten, allerdings sah die Gesellschaft in der umliegenden Gegend nicht besser aus. Aber dazu später.

Die Wolfsschanze änderte meine Sichtweise auf dieses geschichtliche Kapitel erheblich, obwohl es hier garnichts Neues zu erfahren gibt. Vielleicht liegt es an der polnischen Lesart, vielleicht auch am Ort selbst und den unzähligen, riesigen Bunkern. Nach diesem Besuch traute ich jedenfalls keiner dieser armseligen Gestalten zu, willentlich irgendwas großes geplant, geschweige denn umgesetzt zu haben. Eher handelte es sich wohl um einen Selbstläufer, geschaffen von Leuten mit einfachem Charakter, die um Macht und Anerkennung rangen und/oder super pervers waren und ihre Chance gefunden hatten, das auszuleben. Möglich machte es eine kritische Masse ohne Rückgrat, die alles mitmacht, Hauptsache dazu gehören und nicht auffallen.  

Gruselig, das ist die gleiche Gesellschaft wie heute. Bleibt nur zu hoffen, dass wir der rückgratlosen Masse doch noch irgendwas gutes vorsetzen können, wo sie in Ruhe hinterherlaufen, dazugehören und nicht auffallen kann. 

Was gibt es nun in der Wolfsschanze zu sehen? Bunker, jeder hatte seinen eigenen. Zwar wurden die meisten gesprengt, aber so ein Bunker lässt sich eben nicht so einfach sprengen. Ohne Kontext wäre dieser Wald mit den Ruinen ein wunderschöner Lost Place. Die dicken Betonmauern haben die Farben der Umgebung angenommen, sind mit Moos belegt und sehen innen aus wie Tropfsteinhöhlen. Durch zwei führen sogar noch Wege hindurch, in andere kann man von außen hineinsehen. In einer Halle ist das Stauffenberg Attentat aufgestellt. Widerstand oder eine gute Position nach Kriegsende sichern? Wer weiß.   

Um uns ein nazifreies Plätzchen für die Nacht zu suchen, brachten wir eine Stunde Alleen und Hügel zwischen uns und die Bunker. Aber leider ist das Einzugsgebiet größer als erwartet. Während wir an der Rezeption anstanden, hörten wir vor und hinter uns wirres Geschwafel und phantasievolle Verschwörungstheorien und beschlossen, uns weit abseits zu stellen. Wäsche waschen, schlafen, weg hier, so der Plan.

Der Campingplatz war riesig, der Plan ging auf, die Nazis konzentrierten sich auf das Seeufer. Dahinter gab es eine riesige einsame Lichtung am Waldrand, auf die sich erstmal nur ein Storch verirrte. Was für ein idyllisches Plätzchen. 

Lange saßen wir noch am Waldrand und reflektierten die heutigen Erlebnisse. Leise, damit wir niemanden auf ein Gespräch anlocken. Zu leise, hinter uns im Wald fing etwas großes an, laut zu knurren und immer wieder hinter uns lang zu schleichen. Bär? Wolf? Bären gibt es hier nicht, Glück gehabt. Nach einer kurzen Flucht ins Auto entschieden wir uns schließlich doch dafür, etwas lauter zu sein. Aber wir wägten gut ab, vom Wolf gefressen werden oder mit verwirrten Nazis unterhalten, dann doch lieber der Wolf.   

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