
Marienburg und ein Tag am Gluszynskie See – ach, da ist noch ne Burg drin?
Marienburg, das ist die größte Backsteinburg der Welt und wie groß die ist, wurde uns erst viel später klar. Denn am Abend dachten wir noch, wir wären schon einmal drum herum gelaufen, am nächsten Morgen stellte sich aber heraus, da waren wir schon mittendrin. Der Rest der Stadt ist jedenfalls wesentlich kleiner.
Es regnete schon wieder. Außerdem hatten wir keine Lust auf die Gesellschaft verwirrter Menschen und die Campingplätze sind leider auch hier noch fest in Nazihand. Also schliefen wir wieder drin. Direkt am Fluss Nogat gibt es eine neue Häuserzeile im Stil alter Speicherhäuser. Wir wohnten ganz oben, mit einer traumhaften Aussicht auf den seerosenbewachsenen Fluss, in dem nur ab und zu ein Hausböötchen vorbei kam und eine einzelne mutige Schwimmerin.
Die Burg liegt direkt nebenan und wir unternahmen einen Abendspaziergang. Im Stil der Breslauer Zwerge warteten kleine Ritter an der Uferpromenade auf uns. Und dann kam die Burg in den Blick, lange liefen wir an den riesigen Mauern entlang, bis wir zu einer langen, hölzernen Fußgängerbrücke über den Fluss kamen. Die Wand besteht aus verschiedenen Materialien und hier und da gibt es einen angebauten Turm und kleine Erker. Das Dach glänzte zum Teil bunt gemustert im Sonnenuntergang, an anderen Stellen ist es einfach aus Holz. Ein beeindruckendes Bauwerk, bereits von hier und ohne viel von der Burg gesehen zu haben. Auf der anderen Seite kamen wir zum Burggraben, von wo die Wände noch riesiger wirkten. An einer Ecke kletterten wir hinaus und standen vor einem überwältigenden Bild, hinter und übereinander stapeln sich Mauern und Türme und dann, ein paar Meter weiter, taucht die Statue auf, die der Burg ihren Namen gibt. Acht Meter hoch und bunt steht sie glitzernd im Turm der Burgkirche. Wir staunten.
Am Morgen suchten wir den Ticketschalter und fanden ihn, wo wir längst die Stadt Marienburg vermutet hatten, zwei Straßen weiter und das war noch immer innerhalb der Mauern der äußeren Burg. Und alles, was wir am Abend als „außen herum“ interpretiert hatten, stellte sich als mittendurch heraus.
Auf dem Weg zur inneren Burg, sahen wir Fotos von der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, kaum ein Stein lag mehr auf dem anderen. Wie puzzelt man diese ganzen Details wieder zusammen? Mit ganz viel Zeit, genau genommen 70 Jahre, bis 2016 dauerte der Wiederaufbau.
Und wie sieht das jetzt aus? Ganz unterschiedlich, denn alle Teile der Burg sind verschieden alt. Über die Brücken und Wege der äußeren Burg, vorbei an den Kasernen und Ställen und einer der vielen Kirchen, kamen wir wieder zum Burggraben. Ab hier nur mit Ticket. Über eine Holzbrücke gelangten wir in den riesigen Innenhof. Efeu und alte Bäume wachsen vor den vielen unterschiedlichen Gebäuden rings herum. Die bunten Dächer glänzten im Sonnenlicht und verliehen der Burg eine Märchenschlossatmosphäre. Zahlreiche Räumlichkeiten zweigen von hier ab. Um alles zu sehen, müsste man Tage bleiben.
Der Audioguide führte uns durch die Räume des Hospitals des Deutschen Ordens, mit riesigen Kaminen, bunten Fenstern und bemalten Wänden. Dann bestaunten wir gegenüber absurd riesige Klunker und erstaunlich detaillierte Schachteln und Altärchen in der Bernsteinausstellung. Die Gier nach Bernstein führte den Orden in den Krieg um den Ostseezugang. Über dem Bernstein ging es in die Waffensammlung, mit verrückten Helmen und Hemden. Glaubte man, der Feind könne sich totlachen?
Immernoch völlig überfordert von der überdimensionalen Anlage, hielten wir uns an den Audioguide. Der sagte, Zeit für eine Pause und schickte uns in einen urigen Ritterkeller, mit hohem Gewölbe, gemütlichen Kaminen, großen Krügen und einem leckeren Stück Kuchen.
Dann ging es weiter ins Innere, über die nächste Holzbrücke, hinter der wieder eine ganze Burg lag. Ganz drin waren wir auch hier noch nicht. Erstmal sahen wir uns den Burggraben an, hinter dem diser älteste Burgteil liegt. Der hatte natürlich auch eine eigene Mauer mit hölzernem Wehrgang. Daran entlang flanierten wir über einen idyllischen Friedhof und durch einen stimmungsvollen Rosengarten, wo wir etwas der mittelalterlichen Musik lauschten, bevor wir die burgeigenen Mühle hier in der Burgmauer entdeckten. Total beeindruckend war an dieser Stelle die endlos hohe und breite Mauer der inneren Burg, vielleicht auch, weil der Graben so eng und die Mauer so alt ist. Am meisten staunten wir über das alte Efeu, mit Ranken so dick wie Baumstämme.
Der älteste Teil, die Hochburg, hat natürlich auch einen eigenen Burghof, so klein, wie Burghöfe normalerweise sind. In der Mitte steht ein großer Pelikanbrunnen. Angeblich füttert der Pelikan seinen Nachwuchs im Notfall mit dem eigenen Blut, bis er stirbt. Dafür diente er dem Orden als Symbol der Aufopferung. Die Hochburg ist der schönste Teil, rings um den Hof verläuft eine Galerie auf allen Etagen. Unten liegen die Wohnräume und die Küche mit einem riesigen Speiseaufzug, so groß wie unser Kleiderschrank, der nach oben in die Festsäle führt. Die sind vollgestopft mit langen Tafeln, verzierten Kaminen und herrlichen Mosaikböden. Nebenan geht es im ersten Stock in die Marienkirche, die mit der Statue außen. Eine riesige, schummrige Halle mit abgeblättertem Putz, abgegriffenen Holztüren, und abgelaufenem Boden. Ein wahnsinnig stimmungsvoller, alter Raum. Ein enger Treppenaufgang führte uns in der Kirchturm und in eine kleine Ausstellung zum langwierigen Wiederaufbau. Spektakulärstes Stück, eine originale Hand der Maria, riesengroß. Die Figur an der Fassade ist nur eine Nachbildung.
In den letzten Tagen hatten wir genug gesehen und das Wetter wechselte wieder auf heiß. Zeit für einen Badetag. Mitten im Nirgendwo entdeckten wir einen Campingplatz am Gluszynskie See. Außer uns hatten sich nur zwei weitere Camper auf den Platz verirrt. Wir suchten uns ein Plätzchen, direkt an einem idyllischen Badesteg im Schilf, kochten uns ein paar Nudeln und ließen den Tag bei einem Bier ausklingen. Ab und zu kam der Besitzer vorbei, erzählte uns vom See und seinem Bauernhof. Er hatte das Grundstück einst als Winterabkürzung zu seinem Hof gekauft, als die Winter noch so kalt waren, dass er mit Traktoren darüber fahren konnte.
Wir verbrachten den ganzen nächsten Tag hier am See, ein bischen Yoga, ein gutes Buch, ein perfekter Urlaubstag. Am Morgen hüpfte beim Frühstück ein fetter Kuckuck vorbei, im Schilf plätscherte es, wahrscheinlich Otter, und ab und zu kam ein lautloses Elektroboot mit einem Angler vorbei.
Der Campingplatz war zur Hälfte vom See umschlossen und man konnte ums Schilf herum von einem Strand zum nächsten schwimmen. Allein in dem riesigen See war es so still und friedlich, dass irgendwann Libellen und Vögel ganz nah kamen.
Auch am Abend war es wunderschön hier, besonders auf dem Steg, mittendrin im schwarzen spiegelglatten See, der jetzt eine ganz besondere Atmosphäre hatte. Später zog ein wahnsinns Gewitter auf, ringsherum erhellten Blitze die Landschaft und wir krochen ind Bett und sahen dem Spektakel aus dem Auto zu, bis wir einschliefen.