Breslau – Zwerge und ein riesen Bild

Breslau – Zwerge und ein riesen Bild

Beim Campingplatz am Olympiastadion gibt es eine Tramstation, perfekt. Die erste Fahrt klappte auch ganz gut, aber bald verstanden wir die Welt nicht mehr und mussten erfahren, dass Breslau vor zwei Jahren die Nummern und Streckenführung aller Linien geändert hat, aber keine Notwendigkeit für einen Übersichtsplan sieht. Goggle Maps, RomeToRio, alle tappen im Dunkeln und wir. Es gibt zwei Möglichkeiten: 1. man steht an einer Haltestelle an der eine Bahn zum gewünschten Ziel fährt – herzlichen Glückwunsch! 2. man muss umsteigen – viel Glück. Auf diese Weise sahen wir jedenfalls sehe sehr viel von der Stadt und fuhren am zweiten Abend sogar fast mit ins Depot, weil auch das nicht so klar war.

Breslau taugt richtig viel für Fußgänger und Radfahrer. Aber leider hatten wir kein Fahrrad dabei und alle anderen Verkehrsmittel sind ein Alptraum. Nachdem wir uns erstmal mit dem Auto durch den verwirrenden Stadtverkehr gewuselt hatten, brauchten wir jedenfalls was zur Entspannung. 

Daraus wurde eine kleine Kneipentour mit Zwergspotting. Die winzigen Bronzefiguren sind ein Wahrzeichen der Stadt, stehen überall und machen thematisch passende Dinge. Einer musste zum Beispiel alle Schlösser von einer Brücke entfernen und vor Hotels haben sie Koffer oder liegen in Betten. Sie sind wirklich überall.

Am wunderschönen Rynek entdeckten wir ein erschlagendes Gummibärchengeschäft, und da wir am Eingang sofort eine Tüte in die Hand gedrückt bekamen, konnten wir ja schlecht wieder gehen, ohne die randvoll zu machen. Die nächsten Tage waren süß und klebrig, aber kaum war die Tüte leer, hofften wir, bald wieder auf einen sweet factory store zu treffen.

Durch die hübschen Altstadtgassen steuerten wir das Vinyl Café an und versanken am späten Nachmittag bei Cocktails in einem alten Sofa. Der Laden ist voll mit alten Familienfotos von irgendwelchen Leuten, Möbeln vom Flohmarkt und Kisten mit Schallplatten. Ob wir hier jemals wieder raus kommen? Naja, irgendwann wollten wir doch noch mal raus, so lange es noch hell ist. Draußen warteten Zwerge, schicke Plätze und schmale Gasse mit Galerien. Dann entdeckten wir den nächsten einladenden Laden, Art Café, mit roten Tischlampen und hauptsächlich Bier und leckeren Piroggi. An den Wänden hängen in Bilderrahmen Collagen, die aus FAZ Ausschnitten bestenden. Deutsche Zeitung aus den Nullern, warum nicht. Ein paar Zwerge weiter landeten wir in einem gemütlichen Laden mit belgischem Bier und den gleichen Leuten, die wir auch schon an der vorherigen Theke getroffen hatten. 

Jetzt war es dunkel und die Stadt zeigte uns eine ganz unerwartete Sehenswürdigkeit, die schummrig beleuchteten Fenster und Balkone in den alten Fassaden, mit großen Stofflampenschirmen und gemusterten Tapeten. Wieder mal, auch in den nächtlichen Straßen von Breslau ist die Zeit einfach stehen geblieben.

Am nächsten Morgen machten wir uns auf den Weg zur Hauptsehenswürdigkeit, das Panorama von Raclawice. Nur ein mal umsteigen, haha die Tram. Wir waren überall, sogar mehrmals. Zu diesem Zeitpunkt dachten wir noch, es ist was dran an dem drei Jahre alten Übersichtsplan, den wir gefunden hatten und wir sind über Nacht irgendwie dumm geworden. Und als wir endlich irgendwo ankamen, mussten wir feststellen, dass ich im Tramchaos zum falschen Ziel navigiert hatte. Irgendein Bild, irgendwas mit R… Wir standen vor dem Portrait von Rafal Wojaczek. Tja, so gab es als Bonus einen interessanter Autor den wir zuvor nicht kannten.

Aber dann hatten wir doch noch Glück, das Panorama von Raclawice war nur 150 Meter zu Fuß entfernt und es gab noch genau zwei Tickets für genau jetzt. Das Gemälde ist so groß wie das Gebäude in dem es hängt, 15 Meter hoch und 114 Meter breit und ist der Stolz der Stadt, zu Recht. Gemalt wurde es Ende des 19. Jahrhunderts, aber nach dem Krieg wurde es lange versteckt, weil die riesige Darstellung des Siegs über die Russen nicht jedem gefallen hätte. 

Wir waren schwer beeindruckt. Durch einen schneckenartigen Tunnel kamen wir auf die Aussichtsplattform in der Mitte des Panoramas, wo wir einen Audioguide zur Geschichte des Bildes und den Hintergründen der Schlacht bekamen. Überraschender Wendepunkt der Schlacht? Als die Polen den Russen die Kanone klauten – was für ein Klischee.              

Zum Gemälde gehört unten einen Installation, ein sandiger Graben mit Bäumen, Werkzeug, Töpfen und Gestrüpp. An einer Stelle geht ein Zaun in den gemalten Zaun über und eigentlich kann man an keiner Stelle auf den ersten Blick erkennen, wo das Gemälde aufhört und die Installation anfängt, so perfekt ist die Perspektive. 

Nach einer Stunde Staunen war es Zeit fürs Mittagessen, Kartoffelpuffer, Gulasch und Pilze. Kartoffelpuffer sind hier viel feiner als in Deutschland, offenbar aus der polnischen Küche gar nicht wegzudenken und immer eine gute Option. 

Das vielleicht schönste Fleckchen in Breslau ist die Dominsel, die eigentlich keine richtige Insel ist. Hinter dem verwucherten botanischen Garten liegen die mit Kirchen vollgestopften, Pflastergassen des Viertels. Am beeindruckendsten ist natürlich der Dom, mit seinen unterschiedlichen Türmchen und den kleinen Kapellen und Mausoleen auf der Rückseite. Den schönsten Blick auf das Turmgewusel gab es aus dem rosenbewachsenen Klosterhof. Auch hier tummeln sich die Zwerge. Auf der anderen Seite der Insel steht ein Geisterhaus, mit hellgrauen, fast weißen Mauern und Dach, das die Bibliothek beherbergt. 

Durch eine schicke Häuserzeile erreichten wir den Zwerg am Flussufer, der all die Schlösser von der Brücke entfernen musste. Am gegenüberliegenden Ufer wird die Aussicht auf die Kirchtürme von dichten, duftenden Lavendelsträuchern eingerahmt. Hier erreichten wir bald die Markthalle und eine kleine Strandbar mit Blick auf die große Bucht zwischen Altstadt und Insel, perfekt für eine Pause. 

Gleich nebenan legte unser Boot zur Sonnenuntergangsrundfahrt ab. Vom Wasser sahen wir die wunderschönen alten Gebäude und Brücken im goldenen Abendlicht. Mit an Board, riesige Gummienten.

Zeit für einen Gin-Tonic. Im dunkeln spazierten wir quer durch das gepflasterte Labyrinth der Altstadtinsel, die verzwergteste Gegend der Stadt. Schicke und halb verfallene Gasse wechseln sich hier ab. 

Unser Ziel war das gegenüberliegende Vier-Tempel-Viertel. Hier befindet sich die Kneipenmeile der Stadt, die sich an den meisten Stellen nicht von allen anderen Kneipenmeilen der Welt unterscheidet. Aber mittendrin, in einem großen Innenhof, liegt die Neongalerie. Der perfekte Ort um den Abend ausklingen zu lassen. Gesammelte Neonschilder stapeln sich an den Wänden übereinander, Werbung für Kinos, Autohäuser und Restaurants, die es wahrscheinlich längst nicht mehr gibt. Darunter liegen die verrücktesten Bars, alle bunt und schrill. Aber an einem so warmen Abend spielte sich das meiste natürlich draußen ab, wo auch wir zwei Liegestühle ergatterten.   

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