Auschwitz
In Krakau und der Umgebung gibt es leider nicht nur schöne Ecken, sollten wir uns die Urlaubsstimmung verderben? Ja, muss. Besser mit eigenen Augen sehen, um davon erzählen zu können. Dann stellte ich mir noch die Frage, ob ich diese Erinnerung immer wieder zwischen den Schönen hier sehen will. Tja, eigentlich nicht. Aber auslassen fühlt sich irgendwie falsch an und ich bin ab und zu überrascht, wie viele Leute hier doch hin und wieder mal rein schauen. Hier also ein paar Eindrücke von Auschwitz.
Vor einigen Wochen gab es keine Tickets mehr im Vorverkauf, jedenfalls nicht für eine deutsche oder englische Führung, das muss man sich früh überlegen. Pflichtbewusst schauten wir vor ein paar Tagen nochmal und scheinbar hatte jemand storniert. Dabei wäre mir eine Ausrede garnicht ungelegen gekommen, denn dass diese Sehenswürdigkeit über Wochen nachhallt, war schon vorher klar. Der Abend danach war recht still und wir brauchten erstmal ein paar Tage Abstand, um darüber zu reden und unsere Eindrücke überhaupt in Worte fassen zu können.
In Krakau bekamen wir einen winzigen, mit viel Liebe und Feingefühl gestalteten Vorgeschmack auf das, was wir am nächsten Tag sehen würden. Wir besuchten das ehemalige Ghetto. Eine Installation mit leeren Stühlen erinnert am zentralen Platz daran, dass hier die Bewohner gesammelt wurden, um sie in die Lager zu verschleppen. Davor lebte man hier auf engstem Raum unter prekären Bedingungen und durfte das eingemauerte Viertel nur zur Arbeit verlassen, wenn man noch eine hatte. An diesem Platz liegt auch die Apotheke unter dem Adler, heute ein Museum. Hierher kamen die Leute nicht nur, wenn sie Medikamente brauchten, sondern auch für ein offenes Ohr oder Kontakte, der Laden wurde zum Treffpunkt.
Der damalige Inhaber, Thadeusz Pankiewicz riskierte sein eigenes Leben und half wo er konnte. Er schmuggelte Lebensmittel und Nachrichten und half einigen Leuten, falsche Papiere zu bekommen oder Verstecke zu finden. Viele Menschen übergaben ihm Briefe, Tagebücher und Fotos für ihre Angehörigen, bevor sie ermordet wurden.
Einiges davon ist heute noch hier und die Apotheke nun ein Raum für diese Geschichten. Man kann die Schränke und Schubladen nach Erinnerungen durchstöbern. Darin liegen alte Fotos von Familienfeiern, spielenden Kindern, Portraits, Schulfotos. In anderen Schubladen fanden wir Bücher und Hefte mit Briefen und Tagebucheinträgen, traurige Erinnerungen.
Im Nebenraum klingelt das Telefon und wenn man abhebt, erzählt jemand seine Geschichte. Auf einem Schreibtisch kann man die Biografien von Überlebenden lesen. Wie ein Museum fühlen sich die Räume nicht an, es herrscht eine unglaublich persönliche Atmosphäre, die die Geschichten um so schlimmer zugänglich macht.
So taucht man in die Welt an diesem Ort vor fast 90 Jahren, so tief oder oberflächlich man will. Um alles anzusehen, hätten wir Tage bleiben müssen und so nahmen wir nur einzelne Fotostapel aus der Schublade und schlugen nur zufällige Seiten auf.
Und das berichteten uns die damaligen Bewohner: Die viel zu kleinen Wohnungen mussten mit fremden Familien geteilt werden, Bad, Küche, Wohnräume. Konflikte waren vorprogrammiert. Genug zu Essen gab es selten und so erzählten andere, wie sie Lebensmittel vom Schwarzmarkt besorgen mussten.
Eine Familie ein paar Möbel mitgenommen, in der Hoffnung, irgendwann in ihre eigene Wohnung zurückkehren zu können. Die Möbel passten natürlich nicht in den einzigen privaten Raum und so stapelten sie alles in der Mitte des Zimmers bis unter die Decke. Jugendliche berichteten, wie sie mit Freunden einen privaten Platz in einem Keller fanden. Von anderen wurden Familienmitglieder oder Freunde bereits verschleppt. In all den Erschwernissen versuchten die Leute hier irgendwie ein normales Leben zu führen.
In Auschwitz trafen wir unsere Guide in einem kahlen Betonraum, in dem die Hölle los war und man sein eigenes Wort nicht verstand. Aus diesem Trubel holte uns ein langer, bedrückender Gang, in dem Namen der hier Ermordeten vorgelesen werden. Wir hörten die Namen von vielleicht 15 Personen. Würde man alle, der 1,5 Millionen Menschen, die hier gestorben sind, namentlich kennen und nennen, würde das fast ein ganzes Jahr dauern.
In Auschwitz 1, wenn auch riesig, waren die Dimensionen noch irgendwie überschaubar. Das Lager war vorher eine alte polnische Armeekaserne, mit massiven, zweistöckigen Baracken, von denen wir ein paar von innen besichtigten.
In einem Flur hingen Bilder der Gefangenen, die nicht sofort ermordet wurden, sondern vorher noch Zwangsarbeit leisten mussten. Alle hatten schon geschorene Haaren, einige Wunden von Schlägen. Ich sah mir den Ausdruck in den Gesichtern an, in den meisten waren extreme Emotionen zu sehen, sie waren verängstigt oder wütend, andere voll Trauer und Resignation. Die Guide empfahl, auf Ankunfts- und Sterbedatum zu achten. Die meisten schafften nur ein paar Wochen, einige wenige ein paar Monate. Mir fiel eine Frau auf, die sehr trotzig aussah, sie hielt fast ein halbes Jahr durch.
Im Keller der gleichen Baracke liegen Gefängniszellen, die in den frühen Jahren auch als Gaskammern oder für andere Hinrichtungen oder Folter genutzt wurden. Es gab dort etwa einen Quadratmeter kleine Räume ohne Tür, nur mit einer winzigen Luke am Boden. Dort wurden je vier Leute über Nacht eingesperrt. Wie schwer psychisch krank muss man sein, um sich schon sowas zu überlegen? Und das war erst der Anfang.
Am bedrückendsten war eine Ausstellung, die von Überlebenden kurz nach der Befreiung gestaltet worden war. Ein Ausstellungsstück, den Raum voller Haare, wird es bald nicht mehr geben. Nach langem Abwägen zwischen Erinnerung und Pietät hat das Museum entschieden, die Leichenteile nicht mehr für die Ausstellung zu konservieren. Auch die ausgestellten Decken und Matratzen aus menschlichem Haar werden in einigen Jahren verschwunden sein. Ein anderer Raum ist voll mit persönlichen Dingen, Koffer, mit Namen und Adressen, Berge aus Schuhen, Kämmen und Brillen. Das ist das Obergeschoss. Unten gibt es Fotos, ein Bild von nackten Frauen auf dem Weg in die Gaskammer und eins von einem Leichenberg auf der anderen Seite. An manchen Tagen wurden so viele Menschen ermordet, dass die Kapazität der Krematorien nicht ausreichte und die Leichen auf Haufen geworfen und draußen verbrant wurden. Am meisten verstörte mich in dieser Ausstellung eine riesige gläserne Urne und das Foto von einem in die Kamera lachenden Soldaten, der einen Zug von deportierten Pfarrern begleitete. Beim Blick aus dem Fenster sieht man von dieser Baracke das Wohnhaus von Rudolf Höß, keine 100 Meter entfernt. Der hatte keine Skrupel, sein Privatleben in Gegenwart dieses Grauens zu führen.
Bevor wir das Lager verließen, gingen wir durch die einzige erhaltene Gaskammer, sahen die Löcher in der niedrigen Decke, die Umkleidekabinen. Die Führungen gehen hier verkehrt herum durch, sonst könnte man das vermutlich garnicht ertragen.
Auschwitz 1 war schon schwer erträglich, aber noch als Arbeitslager gedacht. Mit dem Bus fuhren wir nach Birkenau und hier erst zeigt sich das ganze Ausmaß der Vernichtung. Menschen ermorden als Industrie, Birkenau war eine Vernichtungsfabrik. Man geht durch das Tor hinein, durch das auch die Züge fuhren und dahinter erstrecken sich, soweit das Auge reicht, die Ruinen der provisorischen Baracken.
Die Guide führte uns auf die Selektionsrampe und merkte an, dass unser Aufenthalt in Birkenau länger dauern wird, als der der meisten Menschen, die hier ermordet wurden. Frauen mit Kindern, alte oder kranke Personen oder wer von der Reise zu erschöpft war, wurde sofort in die Gaskammern gebracht. Nur ein winzig geringer Teil der hier ermordeten Menschen verbrachte überhaupt nur eine Nacht in Birkenau und doch brauchte es ein riesiges Gelände um sie unter zu bringen, denn dieser winzige Teil waren Zehntausende. Nach und nach wurden diese riesigen Zahlen greifbarer, aber nie ganz.
Firmen ließen sich feiern für die industrielle Weiterentwicklung von Gaskammern und Krematorien, Leichen als Brennstoff für die nächsten und wo muss wie das Gas rein, damit die Leute schneller sterben. Schneller und schneller musste das alles gehen, damit mehr und mehr Menschen an einem Tag vernichtet werden konnten.
Kaum vorstellbar, dass Menschen sich sowas überlegen und trotzdem abends irgendwie einschlafen und am Morgen in den Spiegel gucken können. Eine Ansammlung rückgratloser Männer, die irgendwie Anerkennung bekommen wollten und egal womit in jeden Arsch krochen, der Anerkennung versprach. Unfassbar grenzenlose Gleichgültigkeit, gepaart mit dem Hass und der Perversion einzelner.
Nach diesem Teil der Führung musste ich mir viel Mühe geben, mich nicht zu übergeben und fragte mich, was wäre passiert, hätte man diese Leistung und Energie ein paar Jahre früher in wirtschaftliche Entwicklungen gesteckt, in Lösungen für die Kriesen des Landes, statt in Erfindungen für effiziente industrielle Massenmorde?
Schließlich besichtigten wir noch eine der Baracken, in denen die Menschen, die noch als arbeitsfähig betrachtet wurden, in ihren letzten Wochen oder Monaten leben mussten. Kein Fundament, die Fenster nicht zu öffnen, im Winter eiskalt, im Sommer keine Belüftung, kaum jemand erlebte beides. Auf engstem Raum wurden bis zu 400 Menschen zusammengepfercht, schliefen unter schmutzigen, dünnen Decken, die sie sich zu zweit oder zu dritt teilen mussten, zwischen Läusen und Flöhen und teilweise auf dem Boden. Die Ernährung bestand aus einer kleine dünne Suppe am Tag und ein Stück trockenes Brot am Abend. So verhungerten die Menschen, während sie Schwerstarbeit leisten mussten.
Schockiert und bedrückt warteten wir auf den Bus, während eine deutsche Schulklasse vorbei kam, in der ein Jugendlicher skeptisch erwähnte, dass man ja jetzt nicht sagen könnte, ob das hier echt sei. In unserer Gruppe waren drei Erwachsene dabei, ein Pärchen um die 50 und die Mutter. Die drei grummelten schon in Auschwitz 1 wie kleine Kinder, dass ihnen die Darstellung der Guide nicht so passte. So schlimm sei das ja sicher nicht gewesen. In Birkenau waren sie garnicht mehr dabei, das passte wohl doch nicht so gut in ihr verschrobenes Weltbild.
Bleibt zu hoffen, dass es wenigstens für eine der drei oder diesen Jugendlichen doch noch einen Denkanstoß gab, der irgendwie nachwirkt. Sodass sie sich bei der nächsten Wahl doch noch gegen die Partei entscheiden, die diese Zeiten zurückholen will.