
Masuren – mit dem Schiff über die Wiese und eine Nacht im Vampirschloss
Am Morgen wurden wir von einer SMS überrascht. Warnung vor extremen Gewittern und Stürmen und zwar schon am sehr frühen Abend. Große Hotels gibt es in dieser verschlafenen Gegend eher nicht. Blieben also zwei Optionen, das Gewitter im Auto aussitzen, nachts immer eine gute Idee, aber ab 18 Uhr eher naja, oder die Übernachtung im Vampir Schlösschen, ohoh. Auf den Feldwegen, die uns Google Maps zu dem kleinen Anwesen lotste, war schon lange nichts mehr ausgeschildert und außer Feldern und Wäldern nichts zu sehen, bis wir zu dem gruseligen alten Tor mit der Glocke kamen. Dahinter lag ein altes Gebäude mit Türmchen. Als wir klingeln wollten, öffnete sich geräuschlos die Tür und eine schwarz gekleidete Gestalt winkte uns wortlos hinein. Ihr Sohn sprach etwas Englisch und zeigte uns das Zimmer.
Gerade hatten wir es uns noch mit einem Bier auf der Hollywoodschaukel im Garten gemütlich gemacht, als auch schon eine dicke schwarze Wand hinter dem Haus auftauchte und ein heftiger Sturm uns nach drinnen pustete. Im Zimmer warteten wir ab. Der Regen klatschte gegen alle Fenster und aus dem offenen Kamin heulte und jammerte es grausig. Gute Idee, jetzt drin zu sein.
Zwischen SMS und Gewitter lag ein Nachmittag im verschlafenen Olsztyn, die Hauptstadt von Masuren. Die Häuser hier sind eigentlich die gleichen, wie in allen anderen polnischen Innenstädten aber die Fassaden wurden in einer anderen Zeit zuletzt restauriert. Im grauen Putz finden sich kommunistische Verzierungen. Auch hier ist die Zeit einfach stehen geblieben. Fasziniert schlenderten wir durch das große alte Stadttor zum wunderschönen Marktplatz und über das Schloss zum Fluss. Hinter den grauen Fassaden verstecken sich bunte Läden, süßes Gummizeug, traditionelle Restaurants, Handwerks- und Souvenirläden. Außen um die Innenstadt liegt ein herrlicher Park mit idyllischen Gewässern und alten Bäumen, oder einfach Masuren.
Am Fluss fanden wir ein einladendes Restaurant mit bemalten Holzfiguren, viel Folklore und den leckersten gefüllten Klößen.
Noch weiter nördlich liegt der Oberlandkanal, einst für den Transport von Holz und landwirtschaftlichen Produkten gebaut, war die Eisenbahn hier schneller. Und so wurde aus dem Gewässer eine reine Touristenattraktion. Das erfuhren wir im Museum, das wir aber garnicht so leicht fanden. Das Marketing richtet sich hier an Gruppenreisen, irgendwelche Informationen über Touren online zu finden, Fehlanzeige. So gab es für uns vorab erstmal eine kleine Schnitzeljagd. Auf Google Maps entdeckten wir ein paar Orte am Wasser, wo jemand mal ein Foto gemacht hatte und so arbeiteten wir uns flussaufwärts, Busparkplatz für Busparkplatz vor, bis wir im Wald einen Container mit einem “Ticket”-Schild entdeckten. Hier die Information, die man nirgends sonst findet, das war am Rollberg Buczyniec.
Rollberg, so heißen die Schleusen des Kanals. Davon gibt es sechs und die sind auch die eigentliche Sehenswürdigkeit. Das Gelände ist nämlich zu steil und der Wasserstand zu niedrig für eine normale Schleuse, bzw. für genug davon. Also schleppt man hier die Schiffe in Fitzcarraldo Manier einfach über den Berg.
Die nächste freie Tour war erst in einer Stunde und so hatten wir genug Zeit, uns die Anlage und das Spektakel anzusehen. Neugierig liefen wir hoch auf den Berg, eine grüne Wiese mit Schienen in der Mitte. Auf jeder Seite steht ein Wagen aus Holz und oben sitzt ein Schleusenwärter, der darauf wartet, dass jemand den Gong an einem Wagen schlägt, um beide Wagen in Gang zu setzen. Ein paar Meter hinter dem unteren Wagen läuft eine Seilwinde, die durch den Kanal selbst betrieben wird, das Wasser dafür wird ganz oben abgeleitet und läuft als kleiner Wasserfall neben den Rollbergen her ins nächste Becken, sobald jemand über den Berg möchte, wird der Wasserfall angezapft.
Als erstes kam eine Kajakgruppe, die wohl garnicht so einfach zu schleusen war. Alle ordneten sich neben- und hintereinander in den Wagen, mussten sich dann aber aneinander und am Geländer gut festhalten, denn der Wagen musste erstmal ein gutes Stück aus dem Wasser, bis sie auf dem trockenen lagen. Als nächstes kam die Polizei.
Bald ging auch unsere Tour los und wir konnten das Spektakel vom Boot aus erleben, über zwei Berge und zurück. Langsam verschwand das Wasser unter uns, wir lagen auf dem trockenen und tuckerten den Berg hoch. Unterwegs kamen wir auch an der Turbine vorbei, von der die Seile in den Fluss laufen. Hauptsächlich ging es aber durch eine idyllische Landschaft, mit Schilf, Wald und Wiesen und unglaublich vielen Vögeln. Bei jeder Abfahrt kam uns ein zweites Boot entgegen.
Und dann begegneten wir jemandem, den wir schon am morgen getroffen, aber fast wieder vergessen hatten. Der Wikinger mit dem Horn. Auf der Autobahn war er durch eine Tür in einer Schallschutzwand getreten und hatte in sein Horn geblasen. Und jetzt war auch klar, wem er den Weg weisen wollte, den anderen Wikingern in dem Wikingerboot, das nun von oben über die Schleuse kam.
Am Abend verabschiedeten wir uns von Masuren, eine letzte Fahrt über holprige Straßen, dieses mal sogar gepflastert, vorbei an unzähligen Storchennestern und kleinen Bauernhöfen, bis wir die Autobahn nach Marienburg erreichten.